von Heidi Rehn
Verlag: Droemer Knaur
672 S.
ISBN: 978-3-426-51216-6
9,99€
Inhalt:
Selma, die Tochter eines angesehenen Zeitungsverlegers, fährt mit ihrer Familie wie jedes Jahr in die Sommerfrische nach Baden-Baden. Man genießt das elegante Ambiente, die Konzerte und Bälle. Selma hat gerade – zum Entsetzen der Mutter! – das Autofahren gelernt und wartet ungeduldig auf die Ankunft ihres Verlobten Gero. Da lernt sie bei einem Ausflug ins nahe gelegene Elsass den französischen Fotografen Robert kennen – und verliebt sich unsterblich in ihn.
Doch wir schreiben das Jahr 1913, und bald wird der Geliebte zu den Feinden zählen
Doch wir schreiben das Jahr 1913, und bald wird der Geliebte zu den Feinden zählen
Meinung:
Puh.
Ähnlich wie bei "das Schloss der verlorenen Träume" fiel es mir auch hier schwer eine Meinung zu formulieren.
Ich wurde auf das Buch durch eine Aktion von Droemer Knaur aufmerksam. Man konnte sich dort um eine Leseexemplar bewerben.
Die Inhaltsanagabe und der Prolog klangen irgendwie wie "ein deutsches Downton Abbey". Ich bin der Serie ja mit Haut und Haaren verfallen und deshalb habe ich mich auf ein Exemplar beworben, und tatsächlich eins bekommen. Dafür noch mal vielen Dank an den Verlag.
Zwar bin ich jetzt nicht der größte "Schmökerleser" der Welt, aber gegen einen solchen Histo ist ja auch eigentlich nichts einzuwenden. Ich kannte die Fr. Rehn auch nur vom Namen her und wusste sie schreibt sonst Mittelalterepen im Stil von "die Hebamme". Nicht mein Fall, aber ich ging was Stil und Erzählstruktur anbelangt relativ unbefangen an die Sache heran.
Am Anfang plätschert die Geschichte noch recht angenehm dahin und am ersten Abend machte mir das nicht viel aus. Aber nach einem guten viertel des Buches, wurde mir der Stil mehr und mehr zu langatmig.
Besonders in der Episode vor dem Krieg fahren die Figuren 20 Seiten auf einen Ausflug, reden über belanglose Dinge, die man eh schon weiß, kehren ein, essen, schauen sich eine Sehenswürdigkeit an und fahren wieder zurück nach Baden-Baden. Das ist vielleicht atmosphärisch und bildhaft und vielleicht gibt es Leser, die bei solchen Episödchen "in die Zeit eintauchen" können, aber nach dem dritten Ausflug (den an den Stausee) wurde ich langsam etwas nervös.
Heidi Rehn hat einen ganz eigenen Erzählstil, den man mögen kann, aber nicht unbedingt mögen muss.
Manchmal räumt sie Umgebungs- und Personenbeschreibungen mehrere Seiten ein, wichtige Informationen hingegen werden manchmal nur in einem Nebensatz erwähnt, den man leicht überlesen kann. Was mehr als einmal bei mir zu großer Verwirrung führte.
Außerdem hat die Autorin eine Schwäche für Fachbegriffe, die sie nicht ausreichend erklärt, zwar gibt es hinten im Buch ein Glossar, aber das hilft einem auch nicht wirklich weiter.
Heidi Rehn hat großen Spaß daran Worte wie Karyiatide, Louis-Seize-Möbel oder Paul-Poiret-Stil einzuflechten. Zwar wird im besagten Glossar erklärt dass dieser Paul-Poiret damals der In-Designer in Paris war, das hilft mir als Leser aber nicht mir bildhaft vorzustellen, wie Selmas Bluse jetzt aussieht. Die Autorin wirft mit Begriffen, die für den Leser zwar einen historischen Rahmen schaffen und man sagen kann, ja die Autorin hat recherchiert, aber Heidi Rehn versäumt es eben, uns zu "zeigen" oder zu "beschreiben" wie das ganze jetzt im Endeffekt aussieht und man steht als Leser im Regen.
Das gleiche gilt für die vielen französischen Einschübe. Ich bin kein Fan von Glossarbenutzung beim lesen. Vielleicht ist es "authentisch" wenn man als Autor Franzosen in ihrer Landessprache die Hosen der Damen loben lässt, aber mich als Leser, der französisch gleich wieder verdrängt hat, ist es sehr nervig immer hinten nachzuschauen, was die jetzt meinen und dann genervt festzustellen, dass es sich immer nur um Belanglosigkeiten handelt.
Über weite Strecken plätschert die Handlung dahin. Auch als Krieg ausbricht und das große Drama sich mehr und mehr entfaltet, schafft es das Buch einfach nicht mich zu fesseln.
Das lag unter anderem auch an den Figuren, allen voran Selma mit der ich einfach nicht warm wurde. Am Anfang ist sie naiv und selbstsüchtig und irgendwie mochte ich sie schon nach fünfzig Seiten nicht mehr. Das bessert sich zwar, je weiter das Buch fortschreitet, aber wirklich symphatisch wurde sie mir nicht.
Alles in allem waren mir die meisten Figuren zu überzeichnet und überzuckert. Wirklich warm wurde ich mit keiner und im Gegensatz zu vielen anderen Rezensenten mochte ich auch Selmas Großmutter nicht wirklich. (Sie war das wandelnde Klischee auf zwei Beinen)
Sympathie und Antipathie für Figuren sind natürlich subjektiv . Ich verschenke mein Herz nicht so einfach an "politisch angagierte Gromütter mit Doppelleben", andere Leser mögen das sehr. Für mich waren die Figuren einfach ein Tableau an Stereotypen, die von der Autorin aufgereiht wurden, um uns Leserinnen mal wieder was aufzuzeigen.
Wir hätten da: Selma die junge Dame, die sich mit der neuen "Freiheit" der Zeit noch etwas beißt; Ihre Großmutter die trotz ihres Alters von genau davon träumt, Constanze die ihren Weg gehen will und Vorreiterin für so viele Frauen nach ihr ist. Schicksale! Schicksale! Die in einer Zeit des Umbruchs ihren Weg zum Glück suchen. Ich bin versucht Bla-Bla zu schreiben. Subjektiv von meiner Warte aus gesehen, hatte das Buch recht wenig, was mir persönlich an Histos gefällt.
Das größte Problem was ich aber mit dem Buch hatte, war der Sex. Und wirklich, ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal schreiben würde. Ich lese jede Menge Bücher in denen das Hauptthema Sex ist. Weder hab ich etwas gegen Sex, noch spreche ich den Leuten von damals ihre Sexualität ab (sonst wären wir heute alle nicht hier). Ich sage auch nicht, dass die Leute damals keine Lust und kein Verlangen nach Sex hatten, das Homosexualität eine Erfindung der 90er Jahre ist und man nie über Sex nachgedacht hätte und nur keusch und sittsam war.
Das Problem an "der Sommer der Freiheit" war für mich, dass die Autorin uns das immer wieder reindrückt. Mit aller brachialer Gewalt, die ihr dazu zur Verfügung steht. Bevor der Leser Seite dreißig erreicht, denkt Selma schon darüber nach, wie sie ihren Verlobten letztens oral befriedigt hat. Manchmal sind die Sex-Szenen so unfassbar lächerlich, dass ich mit den Augen rollen musste.
Selbst als Selma eine schockierende Entdeckung im Schlafzimmer ihres Verlobten macht, denkt sie noch im selben Moment darüber nach, wie "erregend und frivol" es war, sich im Deckenspiegel über dem Bett, beim gemeinsamen Liebesspiel zu beobachten. Bitte was? Man kann auch mal die Kirche im Dorf lassen, liebe Autorin.
Die meisten dieser Szenen, die sich dann im Laufe des Buches alle gefühlte zwanzig Seiten wiederholen, empfand ich beim lesen als billig. Es tut mir wirlich leid dieses Wort zu benutzen, aber die Autorin drückt mir als Leserin immer und immer wieder Anekdötchen rein, für dich ich einfach kein anderes Adjektiv finde als: Billig.
Mein Lieblingsbeispiel stammt aus der Mitte des Buches: Woher hat Selma den Schlüssel für die Wohnung ihres Verlobten?
Die Autorin hätte hunderte Erklärungen dafür haben können. Gute, weniger gute, grottenschlechte. Sie entscheidet sich für: Gero (der Verlobte) hat Selma den Schlüssel nach einer ihrer gemeinsamen Sexkapaden zwischen ihre "vor Schweiß glänzenden Brüste" zu gelegt, damit sie Zitat: "Immer kommen kann, wenn ihr danach ist" (hihihi Doppeldeutigkeit hihihi)
Ernsthaft?
Wenn mir Selmas "sexuelle Freizügigkeit und Offenheit" beweisen sollte, was für eine "moderne" Frau sie ist und was für "fortschrittlich denkende Zeiten" das damals waren, dann war das ein Schuss in den Ofen.
Wie schon gesagt, ich hätte nie gedacht, dass ich das mal schreibe: Aber der ganze Sex nervt irgendwann.
Fazit:
Ich glaube Leser historischer Romane teilen sich in zwei Lager.
Auf der einen Seite gibt es die große Masser der Leserinnen, denen es vollkommen reicht mit einem netten Schmöker in eine "fremde Zeit" einzutauchen. Sie lesen gerne über die Hochs und Tiefs, die Großmütter, die Ausflüge, Bälle, Eskapädchen und Episödchen aus dem einer Frau von vor hundert Jahren. Und das ist total okay.
Schmökerleser(innen) werden das Buch bestimmt lieben (was ja auch die vielen guten Bewertungen zeigen)
Die andere Seite der Histo-Leser(innen), zu der ich auch gehöre, sucht eben etwas mehr, als nur seitenlange Ortsbeschreibungen, Ausflüge und ausführliche Bettgymanstik. Ich suche eben eine "Geschichte die mich packen kann" mit Figuren die mich überzeugen. Selmas Geschichte und ihre Person hat das nicht geschafft.
Ich war von dem ausufernden Stil irgendwann gelangweilt und von den vielen (unnötigen) Sexszenen genervt.
Unterm Strich kann man sagen:
Wer Schmöker mag, wird "der Sommer der Freiheit" auch mögen
alle anderen sollten sich lieber einen anderen Histo zulegen
2/5 Sterne von mir